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(Keine) Wegzugsbesteuerung bei vorübergehender Abwesenheit aus Deutschland – Bundesfinanzhof widerspricht Finanzverwaltung sowie Finanzgericht Münster

  1. Einleitung

Die „Wegzugsbesteuerung“ gemäß § 6 AStG ist für in Deutschland steuerpflichtige Gründer, Unternehmer sowie andere Privatpersonen, die mit einem Prozent oder mehr an Kapitalgesellschaften beteiligt sind (oder in den fünf Jahren vor dem Wegzug waren), ein Ärgernis: Der tatsächliche Wegzug aus Deutschland, ohne einen tatsächlichen Verkauf der Beteiligung, führt zu einer fingierten steuerpflichtigen Veräußerung und löst die Besteuerung eines fiktiven Veräußerungsgewinns aus (Dry Income). Zwischenzeitlich hat der Gesetzgeber die Vorschrift des § 6 Abs. 1 AStG dahingehend ergänzt, dass auch vermeintliche Ausweichgestaltungen zur Vermeidung der Wegzugsbesteuerung erfasst werden, selbst die Verschenkung und Vererbung von solchen Beteiligungen an nicht in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtige Personen, unabhängig von einer Erbschaft- und Schenkungsteuer.

Der fiskalische Zweck der Vorschrift: In Deutschland geschaffene Werte (stille Reserven) sollen in Deutschland und nicht im Ausland versteuert werden, weswegen es bei Kapitalgesellschaftsbeteiligungen aus Sicht des Fiskus‘ des Besteuerungszugriffs im Wegzugszeitpunkts bedarf. Wird eine relevante Kapitalgesellschafts-Beteiligung nämlich erst nach dem Wegzug verkauft, geht der deutsche Fiskus (je nach Fallgestaltung sowie Regelungen eines zugrunde liegenden Doppelbesteuerungsabkommens) oft leer aus, weil das Besteuerungsrecht dann (nur) dem Zuzugsstaat zusteht.

Demgegenüber bleiben andere Vermögensgegenstände, wie Immobilien in Deutschland oder Anteile an in Deutschland gewerblich tätigen Personengesellschaften, auch nach einem Wegzug in Deutschland grundsätzlich im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht steuerverhaftet (trotz Doppelbesteuerungsabkommen), weswegen es insoweit keiner Wegzugsbesteuerung bedarf.

Laut Bundesfinanzhof steht es der Anwendung der Wegzugsbesteuerung bei relevanten Kapitalgesellschaftsbeteiligungen nicht entgegen, wenn Deutschland trotz des Wegzugs ein Besteuerungsrecht behält; Normzweck von § 6 AStG sei nicht nur die Besteuerung der in Deutschland gebildeten Reserven, sondern die Sicherstellung eines vorgezogenen Besteuerungszugriff und Verhinderung einer erschwerten Vollstreckung im Ausland (BFH, Urt. v. 8.12.2021 – I R 30/19).

  1. Was aber gilt bei vorübergehendem Wegzug (und späterer Rückkehr) nach Deutschland?

Falls jedoch der Wegzug ins Ausland nicht auf Dauer, sondern nur vorübergehend erfolgt (Beispiel: Entsendung ins Ausland), tritt die drastische Rechtsfolge der Wegzugsteuer nicht ein, soweit eine “nur vorübergehende Abwesenheit” vorliegt.

Streitig war, ob die Rückkehrabsicht im Wegzugszeitpunkt nachgewiesen werden muss oder eine tatsächliche Rückkehr für das Entfallen der Wegzugsbesteuerung ausreicht. Das Finanzgericht Münster hatte sich auf den Standpunkt gestellt, dass auch bei verunglückten Wegzügen (die zu einer Rückkehr innerhalb von fünf Jahren führen) die Wegzugsbesteuerung eingreife, weil die Absicht der nur vorübergehenden Abwesenheit im Wegzugszeitpunkt nicht nachweisbar sei (FG Münster, Urt. v. 31.10.2019 – 1 K 3448/17 E). Diese (Fehl-)Entscheidung hat der Bundesfinanzhof mit im April 2023 veröffentlichtem Urteil korrigiert (BFH, Urt. vom 21. Dezember 2022, I R 55/19).

III. Sachverhalt

Der Entscheidung lag, stark vereinfacht, der folgende Sachverhalt zugrunde:

Der Kläger zog zum 01.03.2014 nach Dubai in die Vereinigte Arabische Emirates unter Aufgabe seines inländischen Wohnsitzes. Tatsächlich aufgegeben worden war der deutsche Wohnsitz laut Darstellung des Klägers bereits Ende 2013, da dieser einem Familienmitglied seit dem Zeitpunkt auf Grundlage eines Leihvertrages überlassen worden war. Zum Zeitpunkt seines Wegzugs hielt der Kläger Beteiligungen an mehreren verschiedenen Kapitalgesellschaften. Er bezog in Dubai eine Eigentumswohnung und hatte in Deutschland bis Ende 2015 keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt mehr.

2016 allerdings verlegte der Kläger seinen Hauptwohnsitz zurück nach Deutschland, um sodann, nach Regelung bestimmter Vermögensangelegenheiten, 2017 „endgültig“ nach Dubai zu verziehen.

Das Finanzamt ermittelte für das Streitjahr 2014 eine Wegzugsteuer, da es der Meinung war, dass die Anforderungen des § 6 Abs. 3 AStG für ein Entfallen des Wegzugssteueranspruchs (sog. Rückkehrregelung) nicht erfüllt seien, da zum Zeitpunkt des Wegzugs der Willen zur Rückkehr hätte glaubhaft gemacht werden müssen.

  1. Entscheidung des BFH

Der BFH verwarf die Wegzugsbesteuerung des Klägers für das Streitjahr 2014 als rechtsfehlerhaft, da die Rückkehrregelung des § 6 Abs. 3 S. 1 AStG (damals geltende Fassung) aufgrund des tatsächlich erfolgten Wiedereintritts in die unbeschränkte Steuerpflicht innerhalb von fünf Jahren den Steueranspruch entfallen lasse, soweit die Kapitalgesellschaftsanteile zwischenzeitlich nicht veräußert wurden. Der Auffassung, dass bereits bei Wegzug die Rückkehrabsicht glaubhaft gemacht werden müsse (BMF-Schreiben vom 14.05.2004, Tz. 6.4.1), sei nicht zu folgen. Bei tatsächlich erfolgter Rückkehr innerhalb der fünf Jahre (mit Wirkung ab dem 1. Januar 2022: sieben Jahre und gegebenenfalls um fünf Jahre verlängerbar) sei es unverhältnismäßig, aufgrund von Zweifeln an einer ursprünglichen Rückkehrabsicht die Wegzugsbesteuerung zur Anwendung zu bringen.

Nicht Streitgegenstand und damit nicht zu entscheiden war, ob für das Jahr 2017 gegen den Kläger eine Wegzugsbesteuerung zur Anwendung gelangt.

  1. Praxisfolgen

Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs ist richtig. Bei nur vorübergehender Abwesenheit aus Deutschland besteht kein Grund, eine Wegzugsbesteuerung festzusetzen. Ein verunglückter Wegzug, der innerhalb von sieben Jahren (so die seit 2022 geltende Rechtslage) die Rückkehr nach Deutschland zur Folge hat, bedarf keiner Sanktionierung durch das scharfe Schwert der Wegzugsbesteuerung. Insbesondere ist es nicht ohne weiteres möglich, während einer vorübergehenden Abwesenheit Kapitalgesellschaftsanteile im Ausland (geschützt vor einer deutschen Besteuerung) zu veräußern; dann nämlich kommt die Rückkehrregelung nicht zur Anwendung.

In der Praxis sorgt § 6 AStG für erhebliche Probleme, da eine Besteuerung von Dry Income (Versteuerung geldwerter Vorteile ohne Liquidität) erfolgt, die vielfach nur durch den Verkauf der Anteile (falls dieser möglich ist!) oder Kreditaufnahme bezahlt werden kann. Die Idee, in Deutschland gebildete stille Reserven zu besteuern, ist nachvollziehbar (Auslöser: Wegzüge in die Schweiz in den 1970er Jahren, Stichwort „Horten-Paragraph“). Die Vorschrift ist jedoch überschießend ausgestaltet und trifft in der Praxis vielfach mobile Gründer. Das hat auch zur Folge, dass „zugewanderte“ erfolgreiche Gründer nach spätestens sechs Jahren Deutschland verlassen, weil die Vorschrift eine unbeschränkte Steuerpflicht von mindestens sieben Jahren innerhalb von zwölf Jahren voraussetzt. Andere Wegzügler strukturieren ihre Beteiligungen (beispielsweise in gewerbliche Personengesellschaften) vor dem Wegzug um, um die Vorschrift nicht auszulösen. Dennoch verbleibt es bei vielen sehr schmerzhaften ungewollten Besteuerungsfällen. Hier hilft es wenig, wenn auf Antrag und in der Regel nur gegen Sicherheitsleistung (was in EU-Fällen unionsrechtswidrig sein dürfte) die Steuer in sieben Jahresraten entrichtet werden darf. In diesen Fällen hat die Entscheidung des Bundesfinanzhofs erhebliche Relevanz, weil der „Rückweg“ aus der Wegzugsbesteuerung innerhalb von fünf Jahren (bei Wegzügen ab 2022: sieben Jahren) offen bleiben kann.

 

 

Autor: Dr. Henning Frase